Unmut breitet sich aus, in diesen Tagen. Nachdem die Medien den vermutlich noch weit in die Nachwelt bekannten, “Affärenpräsidenten” öffentlich genüsslich demontiert haben, mit vielen gerechtfertigten, aber genauso vielen unbegründeten Anschuldigungen, und er letztlich hat zurücktreten müssen, sorgt das Bundespräsidialamt für Unmut. Denn es entscheidet darüber, aus welchen Gründen der Bundespräsident zurücktreten musste und kann dementsprechend den Ehrensold zuteilen oder verweigern. Einzig aus politischen oder gesundheitlichen Gründen zurückgetretene Bundespräsidenten erhalten den Ehrensold. Wegen z.B. privater Affären zurück getretene Politiker erhalten laut dem Gesetz{{1}} keinen Ehrensold. Natürlich ist es Auslegungssache, was nun privat und was politisch ist{{2}}, aber im Prinzip müssen wir damit leben, dass Wulff nun Ehrensold erhält.
Es ist richtig, dass Wulff den Ehrensold erhalten muss und es ist richtig, dass das in diesem Falle vielleicht nicht gerechtfertigt sein könnte. Das sind zwei große Punkte, auf die ich nun zu sprechen kommen möchte.
Zuerst, dass es richtig ist, dass Wulff den Ehrensold erhält. Wir alle leben in einem Staat und mit der Geburt haben wir quasi einen Vertrag abgeschlossen mit der Bundesrepublik, dass wir uns an die von der Regierung verabschiedeten Gesetze halten und im Gegenzug gewisse Grundrechte garantiert bekommen, die ansonsten nicht bestehen. Das folgt dem Prinzip des Republikanismus, nach welchem es erst einmal im Naturzustand keinerlei Gesetze gibt, und diese sich konstituieren müssen. Und eines dieser Gesetze ist eben auch das Gesetz über die Ruhebezüge des Bundespräsidenten und – ob es uns gefällt, oder nicht – da wir in diesem Staat leben, müssen wir auch dieses Gesetz akzeptieren. Was wir allerdings tun können, ist, eine Revision des Gesetzes zu verlangen. Zu verlangen, dass dieses Gesetz überdacht wird und es der Situation anpassen.
Was wir aber nicht machen dürfen, ist, dieses Gesetz – so begründet es auch sein mag – nicht zu befolgen. Denn aus der Missachtung eines Gesetzes folgt die Missachtung dessen, was die Gesetze eines Staates ausmachen, man nimmt diesem Gesetz die Basis weg. Das Problem: Alle anderen Gesetze sind auf dieser Basis aufgebaut, d.h. wenn man einem Gesetz die Basis wegnimmt, nimmt man allen Gesetzen die Basis weg, die Gesetzgebung würde ihren Status als Souverän verlieren und dann hätten wir – ganz einfach – Anarchismus.{{3}}
Der letzte Punkt bereitet mir mehr Kopfzerbrechen. Die erste Reaktion auf die Nachricht mit dem Ehrensold dürfte bei vielen Menschen Unverständnis gewesen sein. Laut einer Studie, die vom Spiegel zitiert wird{{4}}, finden 84 Prozent der Bundesbürger, dass Wulff der Ehrensold nicht zusteht. Das ist zudem auch der Konsens in diversen Blogs, die ich soeben konsultiert habe{{5}}. Und dann kam das böse Hamburger Abendblatt und mit ihm ein Kommentar des Autors Matthias Iken{{6}}. Auch er reiht sich in die Reihe derer ein, die den Ehrensold für Wulff selber fraglich finden. Aber er bezieht das ganze auf etwas anderes. Die Kernaussage des Kommentars ist folgende:
Die Deutschen sehnen sich nach politischer Kompetenz, nach unbestechlichen Charakterköpfen, nach Elite. Doch sie missgönnen ihrem Führungspersonal das Ruhegeld und entlohnen sie schlechter als manche Krankenkassenvorstände. [...] Für ihn [den Bundespräsidenten, Anm. d. Red.] gelten Standards, die viele selbst niemals einzuhalten bereit wären.
Und das offenbart das gesamte Problem, dass sich über die causa Wulff ergießt. Einerseits will eine Vielzahl der Deutschen ein Staatsoberhaupt haben, aber man kann es dem Pöbel einfach nicht recht machen. Für viele liegt es glaube ich an der Abstraktion des Amtes. Abstraktion, ein wundervolles Wort, dass von mir wohl ebenso inflationär gebraucht wird, wie die Gesellschaft{{7}}, findet sich meiner Meinung nach heute immer öfter in der Politik. Die Politiker abstrahieren sich selbst vom Volk und das Volk dadurch von der Politik. Das kann man sehr schön anhand der Euro-Krise sehen: Die Politik, besonders “Merkozy” und dergleichen europäische Koryphäen treiben es bunt im Versuch der Eurorettung. So viele misslungene Versuche, Griechenland zu retten, ohne das Eurosystem als solches zu reformieren, lässt die Statistik nicht gut aussehen. Und jetzt kommt auch noch der nächste Knüller: Merkel hat eine europäische Allianz gegen den französischen Präsidentschaftsanwärter Hollande geschmiedet, dass dieser nicht empfangen werden wird im Wahlkampf. Und wieso? Weil er das Eurosystem als Ganzes reformieren will und den derzeitigen Flickenteppich zurecht missbilligt{{8}}.
Aber die ganze Diskussion führt erneut wieder auf den Artikel hin, den ich eh einmal schreiben möchte… irgendwann – und zwar die Trennung von Macht und Verantwortung in der europäischen Politik. Dennoch denke ich, ist jetzt schon vieles gesagt, was zur causa Wulff noch zu sagen wäre. Der Rest ist höchst meinungsabhängig und davon geprägt, was man von einem Staatsoberhaupt überhaupt erwarten will. Wer den Bundespräsidenten als völlig redundant ansieht, wird den Ehrensold ebenso für redundant halten. Analog dazu wird jemand, der den Bundespräsidenten als wichtig ansieht, die Erhaltung des Ehrensoldes fordern. Ich persönlich halte das Bundespräsidentenamt für zumindest nicht mehr so wichtig, wie es früher in den Anfängen der Republik war. Da heute die Politik sowieso fast ausschließlich von “CamMerKozy” gemacht wird (was – wenn man sich das einmal vor Augen führt – mit gewissen Fluktuationen und Unterbrechungen schon seit einer sehr, sehr langen Zeit so ist) – wer braucht da noch einen machtlosen Bundespräsidenten{{9}}? Doch das Letzte Wort dazu ist noch nicht gesprochen.
[[1]]Gesetz über die Ruhebezüge des Bundespräsidenten; §1: “Scheidet der Bundespräsident mit Ablauf seiner Amtszeit oder vorher aus politischen oder gesundheitlichen Gründen aus seinem Amt aus, so erhält er einen Ehrensold in Höhe der Amtsbezüge mit Ausnahme der Aufwandsgelder.”[[1]]
[[2]]Die Unterscheidung zwischen Privat und Politisch ist fließend, da man alles politisieren kann – sogar die verstorbene Katze des Nachbarn kann über ein paar Umwege und zurecht gebogene Wahrheiten Einzug darin finden. Das wäre dann, wie Platon so schön gesagt hat, der Totalitarismus.[[2]]
[[3]]Platon hat das einmal sehr schön in “Kriton” erklärt. Auf der Wikipedia findet sich Sokrates’ Argumentationslinie einmal schön säuberlich aufgeführt, für alle, die zu faul zum Lesen sind.^^[[3]]
[[4]]Die Studie ist der Deutschlandtrend, Auftraggeber die ARD -> klick.[[4]]
[[5]]Man verzeihe mir die eloquente Wortwahl. Die diversen Blogs finden sich hier, hier, hier und hier. Eine schöne Karikatur dazu findet sich hier. (Mit der Maus über die Links zu fahren, zeigt die Ziele der Links an.)[[5]]
[[6]]Hier geht’s zum Artikel.[[6]]
[[7]]Sorry, Sam =D[[7]]
[[8]]Hier geht’s zum Artikel.[[8]]
[[9]]Dieser Vergleich läuft, wie mir gerade auffällt, extrem auf die Definition der “Postdemokratie” zu. Das kleine Büchlein von Colin Crouch, erschienen in Bonn 2008 – man möge es sich einmal zu Gemüte führen – fasst diese Entwicklung der Demokratie recht anschaulich zusammen. Und da das Buch in einem Großteil der einschlägigen Fachliteratur zitiert wird, scheint der Mann nicht nur in meinen Augen Recht zu haben.[[9]]
